Bildstein | Glatz, Umlenker, Holz, Schrauben, 1380 x 1785 x 1180 cm, 2012, Foto: Clemens Ascher
Bildstein | Glatz, Umlenker, Holz, Schrauben, 1380 x 1785 x 1180 cm, 2012, Foto: Clemens Ascher

Umlenker

So mancher Autofahrer, der gegenwärtig die lange Gerade zwischen Mellau und Au entlangfährt, wundert sich über ein seltsames, riesiges Gebilde, das hoch über Schnepfau auf der Schnepfegg thront. Ist hier die Arche Noah gelandet oder ein Gefährt aus einer anderen Galaxie oder haben die Bregenzerwälder Bauern einen überdimensionalen Heuschlitten gebaut und dort abgestellt? Nicht wenige Motorisierte biegen von der erwähnten Geraden in Richtung Schnepfau ab und wollen sich vor Ort selbst davon überzeugen, was es mit dem wundersamen Ding denn auf sich hat. Das Ding nennt sich „Umlenker“ und ist den Gehirnen der beiden Kunstschaffenden Matthias Bildstein (1978 in Hohenems zur Welt gekommen) und dem 1979 in St. Gallen geborenen Philippe Glatz entsprungen, die seit nunmehr zehn Jahren als Künstlerduo Bildstein | Glatz in der Kunstszene auftreten und immer wieder mit schrägen Projekten für Aufsehen sorgen. Das Schnepfegger „Ungetüm“ besteht aus halbkreisartig angeordneten Hartfaserplatten, die von einem chaotischen Gerüst und Geflecht aus zusammengeschraubten Holzlatten getragen werden. Die Öffnung des Halbkreises ist dem mächtigen Massiv der Kanisfluh zugewendet.

 

Monumentale Ausmaße

Ursprünglich stand die Idee, einer aus den Tiefen des Weltalls drohenden Gefahr, wie etwa einem Kometen oder Meteoriten, einen „Umlenker“ entgegenzusetzen, hinter dem Projekt. Der Grundgedanke zu einer derartigen Skulptur erwachte laut Matthias Bildstein bereits vor drei Jahren. Als die beiden Künstler die Einladung zu einer Ausstellung in der von Herbert Meusburger betriebenen Galerie 365 in Schnepfau erhielten und sie das Gelände vor Ort inspizierten, war für sie klar, dass hier der ideale Ort zur Realisation des „Umlenkers“ sei. Am jetzigen Standort erinnert die Arbeit auch an eine Lawinenverbauung oder an ein prophylaktisches Bollwerk gegen Blitzeinschläge, Murenabgänge, Strahlungen oder sonstige Unglücke, von denen die „Bergvölker“ getroffen werden könnten.

Schon bei der Errichtung der kuriosen Gerüstarchitektur, die mit 17,85 Meter Länge, 13,80 Meter Höhe und 11,80 Meter Breite wahrlich monumentale Ausmaße erreicht, war das Aufsehen groß. Bei unzähligen Touristen, Besteigern der Kanisfluh oder Einheimischen erwachte die Neugierde und bewegte sie, die Errichtungsstätte zu besuchen und die Künstler in Diskussionen und Fragereien zu verstricken.

 

Aus dem Bauch heraus modelliert

Der Umlenker ist nicht die erste Konstruktion dieser Bauart von Bildstein/Glatz. 2010 etwa errichteten sie in der Kölner Temporary Gallery für die Ausstellung „Der Blitz schlägt nie zweimal am selben Ort ein“ einen „Schnitzelprinz“. Dabei handelte es sich um eine „Perspektivenwenderapparatur“. Zwei halbrund gebogene Holzfaserplatten wurden, eingespannt in ein Lattengerüst, zu einer Art Rutsche zusammengefügt, die den Rutschenden um die eigene Achse drehen lässt. Der Blickwinkel respektive die Wahrnehmung erfuhr dadurch buchstäblich eine „Wende“.


Ein Jahr davor, also 2009, zimmerte das Künstlerduo am Arboner Bodenseeufer unter dem Titel „Soweit das Budget reicht“ ein Teilstück einer Brücke. Eine Brücke ohne Auf und ohne Abfahrt, ein „Brückenschlag“, nach Lindau hin gerichtet, ohne Möglichkeit, jemals eine Verbindung dorthin herzustellen. Die Kunsthistorikerin Brigitte Schmid-Gugler meinte zu diesem Brückenstummel, dass er die Utopie vom Denk- und Machbaren einer einzigen Welt, im Sinne von kultureller Toleranz, Ressourcen und Gleichberechtigung, persifliere.

Auf den ersten Blick hin erinnern diese architektonischen Holzkonstruktionen an die Baugerüste japanischer Baustellen. Es scheint ihnen eine reelle Sinnhaftigkeit, ein logisch verständliches Bauvorhaben zu Grunde zu liegen. Erst der zweite Blick enthüllt die Tragweite des Irrtums. Die Gebilde sind weit davon entfernt, funktional genutzt werden zu können. Es sind mühevoll konstruierte Sinnlosigkeiten. Humoreske Plattformen, die zwar symbolisch den Finger auf die Ungereimtheiten und Unzulänglichkeiten der Welt richten, letztlich aber auf nichts verweisen als auf sich selbst.

 

In der Regel gehen Bildstein | Glatz bei solchen Konstruktionen von relativ genauen Plänen aus, die sie selbst entwerfen. Beim Bau selbst jedoch dominiert dann das Bauchgefühl. Die Basis des Holznetzwerkes soll möglichst chaotisch sein. Aus diesem Chaos heraus wird die Figur dann gleichsam „modelliert“. Die Latten und Platten werden derart miteinander verbunden, dass sich die „Skulptur“ immer mehr dem ursprünglichen Bauplan annähert. Durch ständiges Hinzufügen und Wegnehmen formiert sich ein architektonisches Wesen, das, obwohl immer Fragment bleibend, letztlich als fertig erklärt wird.

Ein weiteres Charakteristikum dieser Architekturen ist, dass sie nur eine temporäre Gültigkeit haben. Materialtechnisch gesehen besteht das Schnepfegger Schutzsymbol „Umlenker“ zu einem wesentlichen Teil aus dem Baumaterial des Arboner „Brückenschlags“.


Bilder der Vergänglichkeit

Parallel zum „Umlenker“ sind auch mehrere Ölbilder entstanden, die derzeit direkt in der nach zwei Seiten hin offenen Galerie 365 in Schnepfau zu besichtigen sind. Formal greifen die Bilder Elemente des „Umlenkers“ auf, aber auch Ikonografisch-Zeichenhaftes, das Assoziationen an die Vanitas-Stillleben der Renaissance evoziert: ein Totenkopf oder ein umgekipptes Rotweinglas zum Beispiel. Die Erinnerung an das „memento mori“ (Bedenke, dass du sterben musst), ein Ausdruck, der dem mittelalterlichen Mönchslatein entstammt, liegt über den Werken. Vanitas – ein Thema, das gerade in Anbetracht der archaischen Landschaft des Hinteren Bregenzerwaldes gut gewählt scheint.


Karlheinz Pichler 

 

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Bildstein | Glatz, Umlenker, Zeitschrift Kultur, September 2012
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